Havarie im Dünenmeer (Autor: Ralf Beck; alle Rechte vorbehalten)

Von einer deprimierenden, letztendlich havaristischen Reise in den Maghreb aus den Monaten Mai und Juni 1996. Minutiös vorgeplant und mit bester Logistik versehen - alles war nutzlos, da sich politische Veränderungen nicht planen lassen. So endete die Expedition im Chaos, Ausrüstung versagte und die Reisegruppe zerfiel in Interessengemeinschaften, welche alle ein anderes Ziel verfolgten. Schlußendlich war es Glück, daß alle wieder zusammen und  wohlbehalten in Europa ankamen.

Schon bei der Planung hätte es einleuchten müssen, daß es mit dieser Gruppenkonstellation nichts werden kann. Zu viele verschiedene Charaktere mischten sich miteinander: Motorrad- und Geländewagenfahrer, Saharaerstbesucher und Wüstenkenner, Dünenliebhaber und Off-Road-Begeisterte. Doch wer wagt, der nicht gewinnt und in die Sahara wollten sie nun alle, egal aus welchem Motiv.

Schon bei der Fährbuchung gab es Probleme. Erste oder zweite Klasse, man wurde sich einfach nicht einig. Auf der Liberté im Hafen von Marseille gab es dann die erste Trennung. Über- und Unterdeckseefahrer gaben sich die Hand und suchten sich ihre Quartiere. Dementsprechend war dann die Stimmung, als die Fähre am nächsten Nachmittag den Hafen von La Goulette erreichte. Ausgeruht, gesättigt und voller Tatendrang verließ die Kabinenklasse die Fähre und absolvierte die Zollkontrolle mit gekonnter Leichtigkeit und Souveränität. Müde und erschlagen von der schlaflosen Nacht schlossen sich die Deckfahrer an. Die Prozedur des Grenzübertritts verlief reibungslos und schon bald sahen wir uns gen Algerien fahren, dem Sonnenuntergang entgegen.

Straßenverkehrsgefährdung hätte wohl die Anklageschrift nach dem  deutschen Strafgesetzbuch gelautet, wenn übermüdete Fahrer mit ihren Wägen auf den Straßen Haken schlagen und immer wieder auf das unbefestigte Bankett geraten. Der Staub des Vordermannes weckte zumindest den Lenker des dahinter fahrenden Fahrzeuges. Nicht umsonst rät jeder Tunesienreiseführer von Nachtfahrten ab. Ob wir aber der Grund für die Warnung waren, wagen wir alle zu bezweifeln. Die tunesische Polizei hatte sich auch von der Straße verabschiedet und so blieb unsere wilde Fahrerei durch Zentraltunesien bis in die frühen Morgenstunden hinein  ungesühnt.

Ein neues Formularsystem hatten die Algerier an der Grenze von Hazoua im Frühjahr 1996 eingeführt. Schade, so waren alle unsere auf der letzten Algerienreise gebunkerten und bereits ausgefüllten Einreiseformulare nutzlos und landeten mangels Abfalleimer im nächsten Lagerfeuer. Auf seiner oberflächlichen Suche nach GPS-Geräten, Ferngläsern, Funkgeräten und anderem militärischem Material wurde der Zöllner nicht fündig und so konnten wir uns in aller Ruhe den versicherungsrechtlichen Prozeduren widmen. Neben den üblichen Fragen zu Fahrzeug und Person mischten sich solche zu Reiseweg, Zeitansatz und Freunden in Algerien. Der „Zivilist“ im Versicherungsbüro enttarnte sich im Nachhinein als Mitarbeiter der Geheimpolizei, welcher die gezielt gesammelten Informationen über Funk an die nächsten Stellen weitergab. Nach dem obligatorischen Zwangumtausch konnten wir dann nach Stunden unseren Weg in Richtung Südwesten fortsetzen.

In der Gluthitze des Grand Erg Oriental zur Mittagszeit meldete sich nun der Körper einer der Mitreisenden zu Wort. Nachtfahrt und Streß, jetzt die Hitze, das war wirklich zuviel und wir beschlossen uns für kurze Zeit zu trennen. Der eine Teil der Gruppe fuhr wie geplant nach El Oued, der andere legte eine Mittagsrast im Schatten des Toyota ein. In der Stadt der Tausend Kuppeln wurden wir dann Stunden später wieder zusammengeführt. Jedoch nicht im verabredeten Café am Marktplatz, sondern in der Polizeipräfektur. Die Gendarmerie hatte uns bereits 30 Kilometer vor der Stadt abgepaßt und per Eskorte und mit Höchstgeschwindigkeit durch die Vororte in die Oase gebracht.

Da saßen wir nun, zusammengepfercht, im Warteraum der Polizeistation und harrten der Dinge, die da kommen. Die Räuber und Diebe in Handschellen waren alle vor uns dran, bis wir nach einer geschlagenen Stunde endlich verbal intervenierten. Freundlich aber bestimmt wurden unsere Personalien erneut detailfreudig erfaßt und niedergeschrieben. Ein Sicherheitsfahrzeug begleitete uns in die Stadt, wo wir endlich die notwendigen Reparaturen an den Fahrzeugen vornehmen lassen konnten. Nach dem Reifenwechsel an allen Motorrädern wollten wir die Stadt kurz vor Sonnenuntergang wieder in Richtung Wüste verlassen.

Die Motoren waren noch nicht einmal richtig warm, als unsere Karawane wieder stoppen mußte. Der schwerbewaffnete Kontrollposten am Stadtrand warnte uns vor dem anrollenden Sandsturm und vor allem den fundamentalistischen Dattelbauern auf der Strecke. Es sei schon spät und wir sollten in einem militärisch bewachten Hotel in der Stadt übernachten. Morgen würde man dann über alles weitere entscheiden. Genervt wiesen wir den angebotenen Personenschutz von uns und nach einigen heftigen Verhandlungen ließ man uns, sogar ohne Begleitung, passieren.

Der Sandsturm auf der Strecke schmeckte unseren Motorradfahrern gar nicht. Eine extreme Kurvenlage auf der geraden Strecke durch die Dünen, dazu die ständigen Sandverwehungen. Schuld war der wahnsinnige Seitenwind, der uns fast wegwehte. Die Sicht sank bis auf wenige Meter, im Schrittempo bewegten wir uns weiter. Trotz geschlossener Fenster knirschte der Sand zwischen unseren Zähnen. So kämpften wir uns weiter durch das Dünenmeer. Immer auf der Suche nach einem adäquaten Übernachtungsplatz, der nicht zu finden schien. Doch, in der Palmerie von Touggourt war es windstill, eben und wir schlugen in der Dunkelheit unser Lager auf.

Nachts, ein gellender Schrei hallte durch den Palmenhain. Danach wieder Ruhe - nur ein Wimmern begleitete die Stimme des Windes bis zum Sonnenaufgang. Ich hatte mich aus Schutz vor kriechendem Ungeziefer auf die überbaute Pritsche des Toyota zurückgezogen, um meinem nach über 30 Stunden gerechtfertigten Schlafbedürfnis nachzukommen. Nicht bedacht war die Mückenplage und so war ich im Kampf gegen die lästigen Blutsauger schlaftrunken von besagter Pritsche gefallen. Dreifacher Rippenbruch und ein angeknackstes Brustbein, so diagnostizierte ein Arzt in Deutschland mein Leiden und mehrere Wochen Korsett waren nach der Reise angesagt.

Von der Polizei am Ortsrand wieder eingefangen folgten wir dem Führungsfahrzeug in Richtung Präfektur. Wieder dieselben Fragen wie schon in El Oued, nur mit dem Vorwurf gespickt, wir hätten uns einer polizeilichen Überwachung über Nacht entzogen. Nach dem Wohin befragt antworteten wir pflichtgemäß: Hassi Messaoud - Bordj Messaouda - Deb Deb, ja die alte Dünenstrecke durch den Grand Erg Oriental und weiter nach Illizi. Von dort nach Amguid und Hassi Bel Guebbour. Danach verschwiegen wir die Passage durch den Großen Westlichen Erg nach Hassi Chebaba/Hassi Inifel (verbotene Piste) und weiter über Ghardaia zurück nach Tunesien.

Nach langen Beratungen seitens der Offiziellen wurde uns dann die Weiterfahrt nach Hassi Messaoud untersagt. Dies sei seit Frühjahr 1996 Sperrgebiet und für unautorisierte Personen verboten. Nach einem längeren Telefonat wurde uns dann auch die Fahrt nach Ghardaia mit der Begründung verboten, es seien dort fundamentalistische Bestrebungen im Gange, die einem Besuch der Stadt entgegen stehen würden. Wir setzten den Polizeichef etwas mit dem Argument unter Druck, wir hätten ein Visa und genau diese Routenbeschreibung beim Antrag angegeben. Auf eine Restriktierung unserer persönlichen Bewegungsfreiheit würden wir mit Regreß antworten. Hierauf genehmigte der Commandant eine Fahrt unserer Gruppe in die nördlichen Provinzen. Diese seien sicher, versicherte er und ließ uns ziehen.

Endlich konnten wir uns auf dem Markt mit den erforderlichen Lebensmitteln eindecken. Jeder von uns wußte, daß dieser Algerienaufenthalt nicht mehr allzulange dauern würde und wir verschwendeten unseren Zwangsumtausch im Überfluß. Das blaue Zivilfahrzeug ließ uns hierbei nie aus den Augen und auch beim Mittagstisch in einem Restaurant parkte der Wagen keinen Steinwurf weit entfernt in einer Seitengasse. Krisensitzung war angesagt. Unsere „Extremisten“ in der Gruppe verlangten einen „Marsch in den Süden“, die Pessimisten wollten angesichts der aussichtlosen Lage sofort ausreisen. Wir einigten uns auf den Versuch, via Biskra und Laghouat vielleicht doch Ghardaia zu erreichen. Sicherheitshalber tankten wir alle Fahrzeuge und Kanister randvoll und fuhren dann in Richtung Ortsausgang.

Eine militärische Eskorte erwartete uns. Voller Erstaunen betrachteten wir die aus dem Ei gepellten zwei Toyota Landcruiser. Keine Chance zum Entrinnen, wir müssen uns im Konvoi weiterbewegen. Mit Höchstgeschwindigkeit auf der Route Nationale, alle Fahrzeuge wurden von den Militärs in den Seitengraben abgedrängt, Pferdefuhrwerke genötigt und Fußgänger vertrieben, all das war uns dann doch höchst peinlich. Wollten wir einfach nur ruhig und gemütlich durch die Wüste fahren, so mußten wir uns jetzt einer Polizeirallye beugen. In den Ortschaften stellten die offiziellen Fahrzeuge Blaulicht und Martinshorn an. Das Volk lief zusammen und betrachtete die mit 100 Sachen vorbeirauschende Schar von Touristen, wie man es aus Paris-Dakar-Zeiten kennt. 

Die „Touristenshow“ entwickelte sich zur Pharce. An der nächsten Polizeistation entledigten sich unsere Bewacher der „lästigen Fracht“ und übergaben uns in den nächsten Dienstbereich. Nach einer Stunde Warten vor dem Dienstgebäude, den Blicken von zweistelligen Zuschauermengen ausgesetzt, wurde uns sogar der Weg zur Toilette untersagt. Ein Entfernen von der Gruppe war strikt verboten, war die Stimmung gereizter denn zuvor. Wir ließen die Motoren an, um Bewegung in die Sache zu bringen. Flugs luden unsere Bewacher ihre Kalaschnikows durch und richteten sie auf uns bzw. unsere Fahrzeuge. Der Versuch, endlich hier weg zu kommen, erwies sich als untauglich. Kleinlaut stoppten wir die Autos und Motorräder wieder  und warteten geduldig weitere 30 Minuten auf die Ablösung des lästigen Begleitschutzes. Unsere Bewacher waren nicht sehr gesprächig. Anordnungen erhielten wir nicht mehr auf französich, sondern in der arabischen Landessprache - reine Schickane.

In bewährter Manier ging es nordwärts. Die Polizisten waren unfreundlich, das Geschäft war für sie zusätzliche Arbeit. Wir wiederum waren von dem Polizeischutz und der Restriktion auch nicht sehr angetan. Die Spannung stieg. Vorgetäuschte Pannen ermöglichten uns zumindest ein paar Minuten Pause auf der Fahrt nach Biskra. So erreichten wir zum Sonnenuntergang die Kreuzung Biskra-El Oued. Wir hatten alle Hunger. Die vorpreschenden Polizeifahrzeuge bemerkten nach einer Viertelstunde, daß wir stehen geblieben waren. Wir rasteten, um endlich wieder einmal etwas zu essen. Die Polizisten, von dem Verlauf der Geschehnisse etwas überfordert, forderten uns auf, ihnen ins nächste polizeigesicherte Hotel zu folgen. Wir lehnten freundlich mit der Begründung ab, zunächst zu abend essen zu wollen. Der Chef der Eskorte wollte uns jedoch in das nächste Hotel verfrachten, auf unsere Kosten natürlich. Daraufhin ließen wir uns umso gemütlicher nieder und verspeisten den originalen schweizer Käse mit doppeltem Genuß. Es dauerte keine 10 Minuten, da rauschten die Polizeifahrzeuge gen Norden davon.

So waren wir plötzlich allein in der Wüste. Von den gefährlichen Partisanen, Fundamentalisten und sonstigen potentiellen Straftätern keine Spur. Nachdem sich nach einer halben Stunde kein Fahrzeug der Polizei mehr eingefunden hatte, kam unserer Krisenrat erneut zusammen. Auch die letzten konnten nun überzeugt werden, daß Algerien momentan kein Reiseland sei. Wir beschlossen, via El Oued zurück nach Tunesien zu fahren. Ade schöne Wüste Algeriens, ade GPS-Koordinaten, ade IGN-Karten, alles umsonst mitgenommen.

Minuten nach der Abfahrt fing es an zu regnen. Regen in der Sahara, wie selten erlebt man dieses Phänomen. Die Straße wurde schnell glitschig und glich einer Eisbahn, die Sandverwehungen auf der Straße schlammig und schlickig. Das alles bei Nacht. Ein Motorradfahrer stürzte auf der Asphaltstraße. Der Konvoi stoppte wieder. Glücklicherweise war nichts passiert. Ein paar Abschürfungen, ein paar Kratzer am Fahrzeug. Die Bremsleitung war gerissen, aber es ging auch ohne weiter. Kurze Zeit darauf brach die Stromversorgung beim schon betagten Range Rover zusammen. Ein weiterer Halt und eine langwierige Reparatur schlossen sich an. Die Toyotafahrer frozelten über "British Elend" (Rover). Die Außenbezirke von El Oued waren erreicht und keine Polizeikontrollen erwarteten uns. Es war kurz nach Mitternacht als wir auf die Straße Richtung Tunesien abbogen. Aus der Traum von einer tollen Wüstentour, von alten verlassenen Franzosenfestungen abseits der Touristenpfade, hohen Dünen und grenzenloser Freiheit.

Die Tunesier bereiteten uns bei der Wiedereinreise Probleme. Irgendwelche Stempel würden fehlen. Wir hatten schon wieder eine Nachtfahrt hinter uns, die Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Nach langen Verhandlungen wurde auch das letzte Fahrzeug in den Paß eingetragen und wir konnten zur Frühstückszeit den Grenzposten passieren. Halt nein, da hat jemand ein Foto von der Grenzstation gemacht. Wieder alle aussteigen, der Schuldige wurde entlarft, der Film einbehalten. Alles Geschimpfe brachte nichts, außer Lehren für die Zukunft.

Relaxing war angesagt auf dem Oasencamping von Degache. Nach einem Tag Ruhe sah die Welt schon wieder ganz anders aus. Spaziergänge im Palmenhain bis hinunter in den Chott el Djerid, Ausruhen unter Palmen in den blühenden Gärten waren Balsam für die Seele. Ein Besuch der Oasenstadt Tozeur mit den orientalischen Märkten, dem arabischen Flair, den Cafés und Basaren trugen ihr übriges zur Regeneration der ausgemergelten und überstrapazierten Körper bei. Eine neue Planung wurde entworfen, ohne Karten und GPS-Koordinaten würden wir uns auch in Tunesien zurechtfinden, dachten wir. Schließlich sei der kleine Staat ein Land des Pauschaltourismus. Weit gefehlt! Wir brachen auf Richtung Kebili. Durch den Chott el Djerid auf der asphaltierten Dammstraße. Die knapp 80 Kilometer brachten wir noch ohne Schaden hinter uns. Abgesehen von denen, die einen Abgang in den Chott versuchen und ihre Runden auf dem Salzsee drehten. Diese wunderten sich später über den stark ansetztenden Rost an ihren Fahrzeugen.

Hinter Kebili ging es auf Piste weiter. Die paar Sandhügelchen auf der Strecke entlang des Chott vermittelten uns einen ersten Eindruck von dem, was uns weiter südlich erwartete. Schon bald erreichten wir den Ortsrand von Douz. Von der blühenden Oase bekamen wir allerdings nicht viel zu sehen. Sandsturm hatte eingesetzt und brachte das Leben auf den Straßen nahezu zum Erliegen. Wir schwenkten sofort zum Pisteneinstieg nach Ksar Ghilane. Vorbei an den großen Hotelanlagen mit Swimmingpools bewegte sich unsere ungewaschene Truppe in Richtung Erg Oriental. In den ersten Dünen fanden wir einen einigermaßen sicht- und windgeschützten Platz zum Übernachten.

Total eingesandet wunderten wir uns am nächsten Morgen über die Schräglage unserer Fahrzeuge. Hatten wir abends zuvor noch so ausgelassen gefeiert und danach die Autos geparkt? Nein, der ewige Wind war es, der nächtens die einer Räder ein- und die anderen ausgrub. Die Natur stimmte uns schon jetzt auf die nächsten Tage ein. Das Ausparken gestaltete sich als etwas problematisch und erstmals kamen die Schaufeln zum Einsatz. Wo hatten wir denn die verstaut? Wie üblich ganz unten in der Alukiste unter Verpflegung, Wasser und den ganzen persönlichen Gegenständen.

Auch der Himmel verdunkelte sich so langsam. Im Saharacafé an der wichtigsten Pistenkreuzung der gesamten Strecke tranken wir hastig den letzten Tee. Voller Erwartungsdrang wollten wir alle endlich nach Ksar Ghilane aufbrechen. Gestützt auf unsere bisherigen Erfahrungen im Sand hatten wir für die knapp 130 Kilometer einen Tag angesetzt. In fünf bis sieben Stunden, so prognostizierte der Cafébesitzer optimistisch, würden wir Ksar Ghilane erreichen. Mit Führer und bei schönem Wetter. Stolz überreichte er uns die GPS-Koordinate vom Ksar und wir fütterten unseren kleinen Computer. Tage später sollte uns dieser Wert hilfreiche Dienste bei der Pistenfindung leisten.

Den direkten Weg nach Südost anvisiert vertrauten wir blind dem kleinen Garmin 45. Wir nahmen prompt die falsche Piste. Zunächst ließen sich die Sandverwehungen auf der schnurgeraden Strecke noch gut an. Es machte richtig Spaß, Hügel für Hügel und somit Meter für Meter hinter sich zu bringen. Geistig sahen wir uns schon abends in der warmen Quelle von Ksar Ghilane planschen. Je weiter wir uns in den Erg hineinarbeiteten, desto weicher und höher wurde der Sand. Nach einigen Kilometern war die Piste nur noch sporadisch zu erkennen. Kurze Zeit später war sie ganz verschwunden und die mittlerweisle merterhohen Dünen legten sich vor uns in den Weg. Wir wichen in die natürlichen Dünentäler aus. Das Gelände wurde schwieriger. Spuren waren schon seit dem Café keine mehr zu erkennen. Mehrere Stunden irrten wir so durch das Dünenmeer. Es war einfach kein Ende abzusehen. Die Motivation sank mit der fortschreitenden Zeit, Sackgassen zwangen uns oftmals zur Umkehr. Begleitet wurde das Szenario vom einsetzenden Regen. Dicke Tropfen prasselten auf die Autodächer. die schutzlosen Motorradfahrer waren bald bis auf die Haut durchnässt. Plötzlich kreutzten frische Spuren unseren Weg. Die Enttäuschung war uns ins Gesicht geschrieben, als wir unsere eigenen „Tracks“ wiedererkannten. Ein Blick auf das GPS bestätigte den Verdacht. Wir waren einen halben Tag im Kreis gefahren, ohne es zu merken. Nächste Krisensitzung, diesmal im Regen und mitten in den Dünen. Der Entschluß, an den Ausgangspunkt der Piste zurückzufahren, wurde einstimmig gefällt.

Abends suchten wir uns in Ausreden für das Mißgeschick des Tages: keine Sonnenorientierung, mangelnde GPS-Erfahrung, verwirrende Dünenlandschaft und vieles mehr... schlußendlich konnte es einem jeden passieren, ob erfahren oder unerfahren. Aber spätestens am nächsten Tag waren intensive praktische Einweisungen am Garmin 45 angesagt, um zumindest dieses Argument nicht wieder aufleben zu lassen. Nicht einmal mehr das lodernde Lagerfeuer erwärmte uns und jeder suchte seinen eigenen Weg, der Misere Herr zu werden. Frustration machte sich innerhalb der Gruppe breit und erste Auflösungserscheinungen drangen nach außen. Daran änderte auch die wiederum stürmische Nacht nichts.

Motorenlärm weckte uns am frühen Morgen. Eine Schaar französischer Landcruiser hätte uns beinahe übersehen und stoppte wenige Meter von uns entfernt. Den drei Fahrzeugen entstiegen gutgekleidete Touristen und zückten die Kameras. Blitz, blitz, schon war unser Chaos vom Vorabend auf Zelluloid gebannt. Quer über die Dünen brauste die Gruppe davon. Die Franzosen sollten Ksar Ghilane ganze zwei Stunden vor uns erreichen. Nachdem auch unser Chaos wieder geordnet war setzten wir den Weg fort. Wir folgten den Spuren der Lancruiser und arbeiteten uns Düne für Düne vor. Wieder begann es zu regnen. Die oberste Sandschicht wurde durch die Feuchtigkeit fester und erleichterte uns das Queren der Kämme. Kein Ende der Sandmassen in Sicht. Wir verfolgten stur die direkte Linie nach Ksar Ghilane und verfransten uns im nächsten Dünengebiet.

Erstmals schickten wir die Motorradfahrer als Lotsen voraus. Diese hatten es einfacher, ohne Gepäck über die Sandmassen zu hüpfen und ertatteten uns regelmäßig Bericht über die bevorstehenden Schwierigkeiten. Eine erkennbare Piste kreuzte unseren Weg. Glücklich, endlich wieder auf Spuren zu stoßen, folgten wir dem alten Spurenbündel, wleches sich jedoch einige Kilometer weiter wieder unter den Sandmassen verbarg. Langsam ließ die Kondition der Kradfahrer nach. Die schweren Maschinen mußten immer öfter eingesandet aus den Dünen geborgen werden. Die Sprünge in das nächste Dünental gestalteten sich mit der Zeit schwieriger als vorhergesehen. So manches Fahrzeug mußte, insbesondere nach Fahrfehlern, unter erheblichem aufwand wieder geborgen werden. „Sandbleche raus“, war das Kommando des  Tages und läutete immer eine neue Bergungsaktion ein.

Gegen Abend waren wir gerade einmal 35 Kilometer Richtung Ksar Ghilane vorgerückt. Vor uns befand sich noch eine schier undurchdringliche Sandformation. Plötzlich ein Schlag im Rover, der Antrieb reduzierte sich auf null und das Auto blieb auf einer Sandanwehung einfach stecken. Die Anderen bemerkten den Verlust nicht und fuhren von dannen. Es bestand keine Möglichkeit, das englische Fahrzeug wieder flott zu machen, irgend etwas blockierte den Antrieb. Langsam wurde es dunkel und weit und breit war keine Hilfe in Sicht. Mitten in den Dünen entfachten wir ein Lagerfeuer, um die Aufmerksamkeit auf uns zu lenken. Nach einer geschlagenen Stunde endlich eine Antwort in Form einer roten Leuchtrakete. Es dauerte weitere zwei Stunden, bis sich der Troß bequemte, die zwei Kilometer durch die Dünen in der Dunkelheit zurückzufahren. Dementsprechend war die Stimmung gereizt, als wir alle wieder vereint waren. Gemeinsam schaufelten wir den Rover frei und zogen ihn auf eine ebene Fläche zwischen zwei Dünenbänken.

Die erste Inspektion verhieß nichts Gutes. Der Vorderantrieb blockierte, keine Kraftübertragung war auf die Räder möglich. Logisch, daß bei dem Permanentallrad dann auch die Hinterachse keine Kraft mehr auf die Piste brachte. Im Licht der Neonbeleuchtung ging nun nichts mehr und wir warteten den kommenden Morgen ab. Ängste wurden wach, diese Strapazen würden sowieso kein Ende nehmen und Zweifel am Erreichen des Zielpunktes wurden laut. Manch einer sah sich gar für ewig in den Dünen gefangen. Der Krisenrat tagte erneut und kam zu dem Ergebnis, die Fahrt nicht abzubrechen, sondern den nächsten Tag abzuwarten. Alles hing nun vom Zustand des Rovers ab. Würden wir ihn wieder fahrbereit machen können oder eben in der Wüste abfackeln müssen? Nachts fegte ein Sturm über uns hinweg, gepaart mit ein paar dicken Tropfen aus dem wolkenverhangenen Himmel. Mit Tagesbeginn begaben wir uns wieder unter das defekte Vehikel und fanden den Fehler. Das vordere Differential hatte gefressen und ließ sich keinen Millimeter mehr bewegen. Wir lösten die vordere Antriebswelle gänzlich, die Räder liefen wieder frei und schon beim ersten Fahrversuch gruben wir uns mit den Hinterrrädern tief in den Sand. Aber immerhin war das Fahrzeug wieder fahrfähig. Ausrüstung zusammengepackt, aufgesessen und weiter ging es nach Süden.

Die Fahrt dauerte nicht lange. Schon bei der ersten Dünenprobe rammten wir uns mit der Schnauze tief in den Sand und der Wagen blieb wieder stecken. Angesichts der vor uns liegenden Dünen versuchten wir es nun mit Gewalt - es funktionierte. Mit Vollgas walzten wir sämtliche Dünen förmlich nieder und ebneten so den Weg für die anderen Fahrzeuge. Der Achtzylinder brüllte auf, hunderte von Schlägen auf die Karosserie, der Sicherheitsgurt rettete uns oftmals vor einem Abflug Richtung Windschutzscheibe. Nicht jede Düne konnte so gemeistert werden und alle waren um die Mittagszeit ausgepowert und kraftlos von der Graberei. Zum Unmut der Gruppe vergnügten sich nun einige mit der Suche nach Skorpionen, anstatt sich um die defekten und eingesandeten Fahrzeuge zu kümmern. So verteilte sich die schweißtreibende Arbeit nunmehr auf einige wenige Personen, welche per Sandblech immer wieder eine Trasse für den überladenen, jetzt zweiradangetriebenen Geländewagen schaffen mußten. Es dauerte nicht lange und die Sonne zeigte sich wieder. Die Temperaturen stiegen sofort an und erschwerten uns die kraftaufreibende Arbeit. Der Sand wurde immer weicher und mehr und mehr kamen die Bergungsutensilien zum Einsatz.

Da, eine Ebene tat sich vor uns auf und eine erkennbare Piste zog ihr Band südwärts. Glückgefühle kamen auf. Wir rollten wieder auf festem Untergrund. Doch schon bald legten sich die nächsten Dünenketten über den Weg und das Spielchen mit den Sandblechen begann von neuem. Der Wasserverbrauch stieg durch die harte körperliche Arbeit rapide an und wir mußten erstmals den Getränkeverbrauch rationieren. Auflösungserscheinungen machten sich wieder breit und ein Blick auf das GPS zeigte uns, daß wir mittlerweile auf der geographischen Breite Ksar Ghilanes angelangt waren. Nur eben 20 Kilometer zu weit westlich. Also wieder querfeldein, entgegen den natürlichen Dünenverläufen, an welchen wir uns eineinhalb Tage lang orientiert hatten.

Plötzlich hatten die Dünengebiete wirklich ein Ende. Freie Sicht bis zum Horizont und Pisten, zig Pisten zogen kreuz und quer. Wir fühlten uns wie auf der Autobahn und richteten unseren Kurs aus. Wieder zwang uns eine Panne zu einem ungeplanten Stop. Diesmal war es ein Plattfuß an einem der Toyotas. Und das kurz vor unserem Ziel. In Windeseile wechselten wir den Reifen, die Zeit war schon fortgeschritten. Auf einer Anhöhe angekommen erblickten wir im Licht des Sonnenuntergangs endlich den malerischen Ksar wenige Kilometer vor uns. Alle Strapazen waren vergessen, als wir ausgemergelt den Vorplatz erreichten und nach der ersten Cola konnten die meisten von uns auch schon wieder lachen. Schnell wurden wir zum Fotoobjekt der kamelreitenden Touristen, die zum Sonnenuntergang zum Ksar pilgerten. Wir schlugen unser Lager einen guten Kilometer vom Ksar und somit außer Reichweite störender Einflüsse auf. Die Wasserrationierung wurde aufgehoben und im Lichte des Lagerfeuers ließen wir die letzten, harten Tage Revue passieren. Frohen Mutes starteten wir morgens darauf zur letzten Etappe. Zwischen uns und der sichtbaren Oase lagen nur noch gut vier Kilometer. Nur noch, aber die Strecke war praktisch mit Dünen vermint. Und so ging es in bewährter Manier weiter. Sandbleche raus, schaufeln und schieben, und das Meter für Meter durch die Dünen. Nach weiteren zwei Stunden schweißtreibender Arbeit erreichten wir endlich fix und fertig den Teich an der warmen Quelle in Ksar Ghilane.

Wir genossen das Bad in dem klaren, aber partiell von Kameldung durchsetzten Wasser. Für die geschundenen Körper war es Balsam und ebensolches für die Seele gab es in der nahegelegenen Bar. Der Besitzer ließ sich erweichen, die Pforte zu öffnen, trotz der Siesta zur Mittagszeit. Nach einigen Stunden Erholung verließen wir den idyllischen Ort wieder, um uns vor Sonnenuntergang einen Platz zum Übernachten suchen zu können. Auf der Pipelinepiste nordwärts, dann nach rechts in die Daharberge. Wir erfreuten uns an der Bergwelt. Endlich kein Sand mehr, kein Eingraben der Fahrzeuge, Bleche und Schaufeln waren wieder ganz unten im Fahrzeug verstaut worden. In einem schwer zugänglichen, einsamen Seitental wurde das Lager aufgeschlagen. Kurz vor dem Zubettgehen unterbrach ein herzzerreißendes Jaulen und Heulen die Stille, die bis dahin geherrscht hatte. Das Echo hallte von den steil aufragenden Felswänden zurück und so sehr wir uns auch bemühten, den Ursprung der Geräusche konnten wir nicht orten. Doch etwas verschreckt zogen sich alle mehr oder minder bewaffnet in die schnell aufgeschlagenen Zelte zurück.

Morgens kam etwas zum Vorschein, über das sich die Gemüter erneut erregten. Ein kompletter Gleitschirm, selbst zusammengepackt noch so groß wie unsere Verpflegungskiste wurde stolz aus einem Fahrzeug gezaubert. Wir hatten diesen Flugapparat quer durch die Dünen geschleppt. Auf Kosten von Wasser, Verpflegung und Ersatzteilen. Unmut machte sich breit bei denen, die bei ihrer persönlichen Ausrüstung zugunsten der Gruppe so gespart hatten. Und als letztendlich noch ein nicht unerheblicher alkoholischer Getränkevorrat zum Vorschein kam, war der Eklat perfekt. Das störte die Betroffenen wenig und sie begaben sich auf die nächste Bergspitze, um mit den Flugübungen zu beginnen. Derweil bereitete der Rest der Gruppe alles für die bevorstehende Weiterfahrt vor. Zwei Stunden später kamen unsere Piloten wieder zurück und waren von den schlechten Winden enttäuscht, welche ihnen lediglich ein paar Flugminuten erlaubt hatten.

Durch die Berge ging es dann weiter. vorbei an alten Ksars, die wie Vogelnester hoch oben auf den Gipfeln thronten. Die in diesem Gebiet sehr freundliche Bevölkerung zeigte sich insbesondere an dem beschädigten Rover sehr interessiert. Ob wir einen Unfall gehabt hätten? Nein, ein Unfall war es eigentlich nicht, nur ein kleines Malheur in den Dünen von Ksar Ghilane. Mittlerweile glich die Fahrt für den Wagen einem Weg zum Autofriedhof. Aus unerklärlichen Gründen konnte die Motorkraft nur noch bei gezogener Differentialsperre auf die Räder übertragen werden. In den engen, mittlerweile wieder asphaltierten Kurven wurde die Kraft des Fahrers immer wieder auf die Probe gestellt. Das Auto war nur noch für monotone Autobahnfahrten geeignet, aber weit und breit war keine zu finden. Immer langsamer werdend erreichten wir unseren Lagerplatz außerhalb von Chenini. Auf dem palmenbestandenen Terrain hatten sich bereits einige Ziegenhirten mit ihren Herden nierdergelassen. Wir gesellten uns zu ihnen, während der Gleitschirm auf der gegenüberliegenden Seite des Tales flugfertig gemacht wurde. Die Winde schienen nicht günstiger geworden zu sein. Ein kurzer Flug, der Gleitschirm kam ins Trudeln und schnell ging es für Schirm und Pilot abwärts. Der harte Aufprall konnte nicht spurlos an Material und Mensch vorübergegangen sein. Mit glücklicherweise nur leichten Blessuren, blauen Flecken und Prellungen, war das Unternehmen Luftfahrt endgültig beendet. Der Schirm wanderte wieder in seine Kiste. Abends wurde die Gruppentrennung endgültig besiegelt. Ein Teil wollte weiter ins Sperrgebiet fahren, was angesichts der fragwürdigen Lebensdauer des Rover für diesen nicht mehr möglich war. Ein gemeinsames Frühstück und die Fahrt bis hinaus zum Gouvernorat zum Zweck der Sperrgebietsgenehmigung. Das war´s und so zogen wir in getrennte Richtungen weiter.

In Nabeul, 60 Kilometer vor Tunis, traf man sich dann wieder. Aber nicht alle hatten den Weg aus dem Süden unbeschadet überstanden. Von Streitigkeiten, Sandphobien, Krankheiten und letztendlich einem kapitalen Motorschaden an einem der Motorräder wurde berichtet. Ferner hatte man sich von den anderen Motorradfahrern auf dem Rückweg bereits in Tataouine, nicht in bester Freundschaft, getrennt. So harrten wir gemeinsam im Regen von Nabeul bis zum Abfahrttermin der Fähre aus Tunis-La Goulette aus. Die inzwischen leeren Verpflegungskisten wurden nach und nach mit Keramik und sonstigen Souvenirs gefüllt, bis wiederum alle Platzkapazitäten erschöpft waren.

Im Hafen von La Goulette schob sich der Rover langsam die Rampe in den Bauch der Liberté hoch. Zuletzt kratzte noch einmal der Auspuff über afrikanischen Asphalt. Der Wagen hatte sich von dem Kontinent verabschiedet, für welchen er gebaut wurde. Aber er führte uns noch heim nach Deutschland, wo er mit allen Ehren ausgemustert wurde.

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