Von einer deprimierenden, letztendlich havaristischen
Reise in den Maghreb aus den Monaten Mai und Juni 1996. Minutiös vorgeplant
und mit bester Logistik versehen - alles war nutzlos, da sich politische
Veränderungen nicht planen lassen. So endete die Expedition im Chaos,
Ausrüstung versagte und die Reisegruppe zerfiel in Interessengemeinschaften,
welche alle ein anderes Ziel verfolgten. Schlußendlich war es Glück,
daß alle wieder zusammen und wohlbehalten in Europa ankamen.
Schon bei der Planung hätte es einleuchten müssen, daß
es mit dieser Gruppenkonstellation nichts werden kann. Zu viele verschiedene
Charaktere mischten sich miteinander: Motorrad- und Geländewagenfahrer,
Saharaerstbesucher und Wüstenkenner, Dünenliebhaber und Off-Road-Begeisterte.
Doch wer wagt, der nicht gewinnt und in die Sahara wollten sie nun alle,
egal aus welchem Motiv.
Schon bei der Fährbuchung gab es Probleme. Erste oder zweite
Klasse, man wurde sich einfach nicht einig. Auf der Liberté im
Hafen von Marseille gab es dann die erste Trennung. Über- und Unterdeckseefahrer
gaben sich die Hand und suchten sich ihre Quartiere. Dementsprechend war
dann die Stimmung, als die Fähre am nächsten Nachmittag den Hafen
von La Goulette erreichte. Ausgeruht, gesättigt und voller Tatendrang
verließ die Kabinenklasse die Fähre und absolvierte die Zollkontrolle
mit gekonnter Leichtigkeit und Souveränität. Müde und erschlagen
von der schlaflosen Nacht schlossen sich die Deckfahrer an. Die Prozedur
des Grenzübertritts verlief reibungslos und schon bald sahen wir uns
gen Algerien fahren, dem Sonnenuntergang entgegen.
Straßenverkehrsgefährdung hätte wohl die Anklageschrift
nach dem deutschen Strafgesetzbuch gelautet, wenn übermüdete
Fahrer mit ihren Wägen auf den Straßen Haken schlagen und immer
wieder auf das unbefestigte Bankett geraten. Der Staub des Vordermannes
weckte zumindest den Lenker des dahinter fahrenden Fahrzeuges. Nicht umsonst
rät jeder Tunesienreiseführer von Nachtfahrten ab. Ob wir aber
der Grund für die Warnung waren, wagen wir alle zu bezweifeln. Die
tunesische Polizei hatte sich auch von der Straße verabschiedet und
so blieb unsere wilde Fahrerei durch Zentraltunesien bis in die frühen
Morgenstunden hinein ungesühnt.
Ein neues Formularsystem hatten die Algerier an der Grenze von Hazoua
im Frühjahr 1996 eingeführt. Schade, so waren alle unsere auf
der letzten Algerienreise gebunkerten und bereits ausgefüllten Einreiseformulare
nutzlos und landeten mangels Abfalleimer im nächsten Lagerfeuer. Auf
seiner oberflächlichen Suche nach GPS-Geräten, Ferngläsern,
Funkgeräten und anderem militärischem Material wurde der Zöllner
nicht fündig und so konnten wir uns in aller Ruhe den versicherungsrechtlichen
Prozeduren widmen. Neben den üblichen Fragen zu Fahrzeug und Person
mischten sich solche zu Reiseweg, Zeitansatz und Freunden in Algerien. Der
„Zivilist“ im Versicherungsbüro enttarnte sich im Nachhinein als Mitarbeiter
der Geheimpolizei, welcher die gezielt gesammelten Informationen über
Funk an die nächsten Stellen weitergab. Nach dem obligatorischen Zwangumtausch
konnten wir dann nach Stunden unseren Weg in Richtung Südwesten fortsetzen.
In der Gluthitze des Grand Erg Oriental zur Mittagszeit meldete sich
nun der Körper einer der Mitreisenden zu Wort. Nachtfahrt und Streß,
jetzt die Hitze, das war wirklich zuviel und wir beschlossen uns für
kurze Zeit zu trennen. Der eine Teil der Gruppe fuhr wie geplant nach El
Oued, der andere legte eine Mittagsrast im Schatten des Toyota ein. In
der Stadt der Tausend Kuppeln wurden wir dann Stunden später wieder
zusammengeführt. Jedoch nicht im verabredeten Café am Marktplatz,
sondern in der Polizeipräfektur. Die Gendarmerie hatte uns bereits
30 Kilometer vor der Stadt abgepaßt und per Eskorte und mit Höchstgeschwindigkeit
durch die Vororte in die Oase gebracht.
Da saßen wir nun, zusammengepfercht, im Warteraum der Polizeistation
und harrten der Dinge, die da kommen. Die Räuber und Diebe in Handschellen
waren alle vor uns dran, bis wir nach einer geschlagenen Stunde endlich
verbal intervenierten. Freundlich aber bestimmt wurden unsere Personalien
erneut detailfreudig erfaßt und niedergeschrieben. Ein Sicherheitsfahrzeug
begleitete uns in die Stadt, wo wir endlich die notwendigen Reparaturen
an den Fahrzeugen vornehmen lassen konnten. Nach dem Reifenwechsel an allen
Motorrädern wollten wir die Stadt kurz vor Sonnenuntergang wieder in
Richtung Wüste verlassen.
Die Motoren waren noch nicht einmal richtig warm, als unsere Karawane
wieder stoppen mußte. Der schwerbewaffnete Kontrollposten am Stadtrand
warnte uns vor dem anrollenden Sandsturm und vor allem den fundamentalistischen
Dattelbauern auf der Strecke. Es sei schon spät und wir sollten in
einem militärisch bewachten Hotel in der Stadt übernachten. Morgen
würde man dann über alles weitere entscheiden. Genervt wiesen wir
den angebotenen Personenschutz von uns und nach einigen heftigen Verhandlungen
ließ man uns, sogar ohne Begleitung, passieren.
Der Sandsturm auf der Strecke schmeckte unseren Motorradfahrern gar
nicht. Eine extreme Kurvenlage auf der geraden Strecke durch die Dünen,
dazu die ständigen Sandverwehungen. Schuld war der wahnsinnige Seitenwind,
der uns fast wegwehte. Die Sicht sank bis auf wenige Meter, im Schrittempo
bewegten wir uns weiter. Trotz geschlossener Fenster knirschte der Sand
zwischen unseren Zähnen. So kämpften wir uns weiter durch das
Dünenmeer. Immer auf der Suche nach einem adäquaten Übernachtungsplatz,
der nicht zu finden schien. Doch, in der Palmerie von Touggourt war es windstill,
eben und wir schlugen in der Dunkelheit unser Lager auf.
Nachts, ein gellender Schrei hallte durch den Palmenhain. Danach wieder
Ruhe - nur ein Wimmern begleitete die Stimme des Windes bis zum Sonnenaufgang.
Ich hatte mich aus Schutz vor kriechendem Ungeziefer auf die überbaute
Pritsche des Toyota zurückgezogen, um meinem nach über 30 Stunden
gerechtfertigten Schlafbedürfnis nachzukommen. Nicht bedacht war die
Mückenplage und so war ich im Kampf gegen die lästigen Blutsauger
schlaftrunken von besagter Pritsche gefallen. Dreifacher Rippenbruch und
ein angeknackstes Brustbein, so diagnostizierte ein Arzt in Deutschland
mein Leiden und mehrere Wochen Korsett waren nach der Reise angesagt.
Von der Polizei am Ortsrand wieder eingefangen folgten wir dem Führungsfahrzeug
in Richtung Präfektur. Wieder dieselben Fragen wie schon in El Oued,
nur mit dem Vorwurf gespickt, wir hätten uns einer polizeilichen Überwachung
über Nacht entzogen. Nach dem Wohin befragt antworteten wir pflichtgemäß:
Hassi Messaoud - Bordj Messaouda - Deb Deb, ja die alte Dünenstrecke
durch den Grand Erg Oriental und weiter nach Illizi. Von dort nach Amguid
und Hassi Bel Guebbour. Danach verschwiegen wir die Passage durch den
Großen Westlichen Erg nach Hassi Chebaba/Hassi Inifel (verbotene
Piste) und weiter über Ghardaia zurück nach Tunesien.
Nach langen Beratungen seitens der Offiziellen wurde uns dann die
Weiterfahrt nach Hassi Messaoud untersagt. Dies sei seit Frühjahr
1996 Sperrgebiet und für unautorisierte Personen verboten. Nach einem
längeren Telefonat wurde uns dann auch die Fahrt nach Ghardaia mit
der Begründung verboten, es seien dort fundamentalistische Bestrebungen
im Gange, die einem Besuch der Stadt entgegen stehen würden. Wir setzten
den Polizeichef etwas mit dem Argument unter Druck, wir hätten ein
Visa und genau diese Routenbeschreibung beim Antrag angegeben. Auf eine
Restriktierung unserer persönlichen Bewegungsfreiheit würden wir
mit Regreß antworten. Hierauf genehmigte der Commandant eine Fahrt
unserer Gruppe in die nördlichen Provinzen. Diese seien sicher, versicherte
er und ließ uns ziehen.
Endlich konnten wir uns auf dem Markt mit den erforderlichen Lebensmitteln
eindecken. Jeder von uns wußte, daß dieser Algerienaufenthalt
nicht mehr allzulange dauern würde und wir verschwendeten unseren
Zwangsumtausch im Überfluß. Das blaue Zivilfahrzeug ließ
uns hierbei nie aus den Augen und auch beim Mittagstisch in einem Restaurant
parkte der Wagen keinen Steinwurf weit entfernt in einer Seitengasse. Krisensitzung
war angesagt. Unsere „Extremisten“ in der Gruppe verlangten einen „Marsch
in den Süden“, die Pessimisten wollten angesichts der aussichtlosen
Lage sofort ausreisen. Wir einigten uns auf den Versuch, via Biskra und
Laghouat vielleicht doch Ghardaia zu erreichen. Sicherheitshalber tankten
wir alle Fahrzeuge und Kanister randvoll und fuhren dann in Richtung Ortsausgang.
Eine militärische Eskorte erwartete uns. Voller Erstaunen betrachteten
wir die aus dem Ei gepellten zwei Toyota Landcruiser. Keine Chance zum
Entrinnen, wir müssen uns im Konvoi weiterbewegen. Mit Höchstgeschwindigkeit
auf der Route Nationale, alle Fahrzeuge wurden von den Militärs in
den Seitengraben abgedrängt, Pferdefuhrwerke genötigt und Fußgänger
vertrieben, all das war uns dann doch höchst peinlich. Wollten wir
einfach nur ruhig und gemütlich durch die Wüste fahren, so mußten
wir uns jetzt einer Polizeirallye beugen. In den Ortschaften stellten die
offiziellen Fahrzeuge Blaulicht und Martinshorn an. Das Volk lief zusammen
und betrachtete die mit 100 Sachen vorbeirauschende Schar von Touristen,
wie man es aus Paris-Dakar-Zeiten kennt.
Die „Touristenshow“ entwickelte sich zur Pharce. An der nächsten
Polizeistation entledigten sich unsere Bewacher der „lästigen Fracht“
und übergaben uns in den nächsten Dienstbereich. Nach einer
Stunde Warten vor dem Dienstgebäude, den Blicken von zweistelligen
Zuschauermengen ausgesetzt, wurde uns sogar der Weg zur Toilette untersagt.
Ein Entfernen von der Gruppe war strikt verboten, war die Stimmung gereizter
denn zuvor. Wir ließen die Motoren an, um Bewegung in die Sache zu
bringen. Flugs luden unsere Bewacher ihre Kalaschnikows durch und richteten
sie auf uns bzw. unsere Fahrzeuge. Der Versuch, endlich hier weg zu kommen,
erwies sich als untauglich. Kleinlaut stoppten wir die Autos und Motorräder
wieder und warteten geduldig weitere 30 Minuten auf die Ablösung
des lästigen Begleitschutzes. Unsere Bewacher waren nicht sehr gesprächig.
Anordnungen erhielten wir nicht mehr auf französich, sondern in der
arabischen Landessprache - reine Schickane.
In bewährter Manier ging es nordwärts. Die Polizisten waren
unfreundlich, das Geschäft war für sie zusätzliche Arbeit.
Wir wiederum waren von dem Polizeischutz und der Restriktion auch nicht
sehr angetan. Die Spannung stieg. Vorgetäuschte Pannen ermöglichten
uns zumindest ein paar Minuten Pause auf der Fahrt nach Biskra. So erreichten
wir zum Sonnenuntergang die Kreuzung Biskra-El Oued. Wir hatten alle Hunger.
Die vorpreschenden Polizeifahrzeuge bemerkten nach einer Viertelstunde,
daß wir stehen geblieben waren. Wir rasteten, um endlich wieder einmal
etwas zu essen. Die Polizisten, von dem Verlauf der Geschehnisse etwas
überfordert, forderten uns auf, ihnen ins nächste polizeigesicherte
Hotel zu folgen. Wir lehnten freundlich mit der Begründung ab, zunächst
zu abend essen zu wollen. Der Chef der Eskorte wollte uns jedoch in das
nächste Hotel verfrachten, auf unsere Kosten natürlich. Daraufhin
ließen wir uns umso gemütlicher nieder und verspeisten den
originalen schweizer Käse mit doppeltem Genuß. Es dauerte keine
10 Minuten, da rauschten die Polizeifahrzeuge gen Norden davon.
So waren wir plötzlich allein in der Wüste. Von den gefährlichen
Partisanen, Fundamentalisten und sonstigen potentiellen Straftätern
keine Spur. Nachdem sich nach einer halben Stunde kein Fahrzeug der Polizei
mehr eingefunden hatte, kam unserer Krisenrat erneut zusammen. Auch die
letzten konnten nun überzeugt werden, daß Algerien momentan kein
Reiseland sei. Wir beschlossen, via El Oued zurück nach Tunesien zu
fahren. Ade schöne Wüste Algeriens, ade GPS-Koordinaten, ade IGN-Karten,
alles umsonst mitgenommen.
Minuten nach der Abfahrt fing es an zu regnen. Regen in der Sahara,
wie selten erlebt man dieses Phänomen. Die Straße wurde schnell
glitschig und glich einer Eisbahn, die Sandverwehungen auf der Straße
schlammig und schlickig. Das alles bei Nacht. Ein Motorradfahrer stürzte
auf der Asphaltstraße. Der Konvoi stoppte wieder. Glücklicherweise
war nichts passiert. Ein paar Abschürfungen, ein paar Kratzer am Fahrzeug.
Die Bremsleitung war gerissen, aber es ging auch ohne weiter. Kurze Zeit
darauf brach die Stromversorgung beim schon betagten Range Rover zusammen.
Ein weiterer Halt und eine langwierige Reparatur schlossen sich an. Die
Toyotafahrer frozelten über "British Elend" (Rover). Die Außenbezirke
von El Oued waren erreicht und keine Polizeikontrollen erwarteten uns. Es
war kurz nach Mitternacht als wir auf die Straße Richtung Tunesien
abbogen. Aus der Traum von einer tollen Wüstentour, von alten verlassenen
Franzosenfestungen abseits der Touristenpfade, hohen Dünen und grenzenloser
Freiheit.
Die Tunesier bereiteten uns bei der Wiedereinreise Probleme. Irgendwelche
Stempel würden fehlen. Wir hatten schon wieder eine Nachtfahrt hinter
uns, die Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Nach langen Verhandlungen
wurde auch das letzte Fahrzeug in den Paß eingetragen und wir konnten
zur Frühstückszeit den Grenzposten passieren. Halt nein, da hat
jemand ein Foto von der Grenzstation gemacht. Wieder alle aussteigen, der
Schuldige wurde entlarft, der Film einbehalten. Alles Geschimpfe brachte
nichts, außer Lehren für die Zukunft.
Relaxing war angesagt auf dem Oasencamping von Degache. Nach einem
Tag Ruhe sah die Welt schon wieder ganz anders aus. Spaziergänge im
Palmenhain bis hinunter in den Chott el Djerid, Ausruhen unter Palmen in
den blühenden Gärten waren Balsam für die Seele. Ein Besuch
der Oasenstadt Tozeur mit den orientalischen Märkten, dem arabischen
Flair, den Cafés und Basaren trugen ihr übriges zur Regeneration
der ausgemergelten und überstrapazierten Körper bei. Eine neue
Planung wurde entworfen, ohne Karten und GPS-Koordinaten würden wir
uns auch in Tunesien zurechtfinden, dachten wir. Schließlich sei
der kleine Staat ein Land des Pauschaltourismus. Weit gefehlt! Wir brachen
auf Richtung Kebili. Durch den Chott el Djerid auf der asphaltierten Dammstraße.
Die knapp 80 Kilometer brachten wir noch ohne Schaden hinter uns. Abgesehen
von denen, die einen Abgang in den Chott versuchen und ihre Runden auf dem
Salzsee drehten. Diese wunderten sich später über den stark ansetztenden
Rost an ihren Fahrzeugen.
Hinter Kebili ging es auf Piste weiter. Die paar Sandhügelchen
auf der Strecke entlang des Chott vermittelten uns einen ersten Eindruck
von dem, was uns weiter südlich erwartete. Schon bald erreichten wir
den Ortsrand von Douz. Von der blühenden Oase bekamen wir allerdings
nicht viel zu sehen. Sandsturm hatte eingesetzt und brachte das Leben auf
den Straßen nahezu zum Erliegen. Wir schwenkten sofort zum Pisteneinstieg
nach Ksar Ghilane. Vorbei an den großen Hotelanlagen mit Swimmingpools
bewegte sich unsere ungewaschene Truppe in Richtung Erg Oriental. In den
ersten Dünen fanden wir einen einigermaßen sicht- und windgeschützten
Platz zum Übernachten.
Total eingesandet wunderten wir uns am nächsten Morgen über
die Schräglage unserer Fahrzeuge. Hatten wir abends zuvor noch so
ausgelassen gefeiert und danach die Autos geparkt? Nein, der ewige Wind
war es, der nächtens die einer Räder ein- und die anderen ausgrub.
Die Natur stimmte uns schon jetzt auf die nächsten Tage ein. Das Ausparken
gestaltete sich als etwas problematisch und erstmals kamen die Schaufeln
zum Einsatz. Wo hatten wir denn die verstaut? Wie üblich ganz unten
in der Alukiste unter Verpflegung, Wasser und den ganzen persönlichen
Gegenständen.
Auch der Himmel verdunkelte sich so langsam. Im Saharacafé
an der wichtigsten Pistenkreuzung der gesamten Strecke tranken wir hastig
den letzten Tee. Voller Erwartungsdrang wollten wir alle endlich nach Ksar
Ghilane aufbrechen. Gestützt auf unsere bisherigen Erfahrungen im Sand
hatten wir für die knapp 130 Kilometer einen Tag angesetzt. In fünf
bis sieben Stunden, so prognostizierte der Cafébesitzer optimistisch,
würden wir Ksar Ghilane erreichen. Mit Führer und bei schönem
Wetter. Stolz überreichte er uns die GPS-Koordinate vom Ksar und wir
fütterten unseren kleinen Computer. Tage später sollte uns dieser
Wert hilfreiche Dienste bei der Pistenfindung leisten.
Abends suchten wir uns in Ausreden für das Mißgeschick
des Tages: keine Sonnenorientierung, mangelnde GPS-Erfahrung, verwirrende
Dünenlandschaft und vieles mehr... schlußendlich konnte es einem
jeden passieren, ob erfahren oder unerfahren. Aber spätestens am
nächsten Tag waren intensive praktische Einweisungen am Garmin 45
angesagt, um zumindest dieses Argument nicht wieder aufleben zu lassen.
Nicht einmal mehr das lodernde Lagerfeuer erwärmte uns und jeder suchte
seinen eigenen Weg, der Misere Herr zu werden. Frustration machte sich innerhalb
der Gruppe breit und erste Auflösungserscheinungen drangen nach außen.
Daran änderte auch die wiederum stürmische Nacht nichts.
Motorenlärm weckte uns am frühen Morgen. Eine Schaar französischer
Landcruiser hätte uns beinahe übersehen und stoppte wenige Meter
von uns entfernt. Den drei Fahrzeugen entstiegen gutgekleidete Touristen
und zückten die Kameras. Blitz, blitz, schon war unser Chaos vom Vorabend
auf Zelluloid gebannt. Quer über die Dünen brauste die Gruppe
davon. Die Franzosen sollten Ksar Ghilane ganze zwei Stunden vor uns erreichen.
Nachdem auch unser Chaos wieder geordnet war setzten wir den Weg fort. Wir
folgten den Spuren der Lancruiser und arbeiteten uns Düne für
Düne vor. Wieder begann es zu regnen. Die oberste Sandschicht wurde
durch die Feuchtigkeit fester und erleichterte uns das Queren der Kämme.
Kein Ende der Sandmassen in Sicht. Wir verfolgten stur die direkte Linie nach
Ksar Ghilane und verfransten uns im nächsten Dünengebiet.
Erstmals schickten wir die Motorradfahrer als Lotsen voraus. Diese
hatten es einfacher, ohne Gepäck über die Sandmassen zu hüpfen
und ertatteten uns regelmäßig Bericht über die bevorstehenden
Schwierigkeiten. Eine erkennbare Piste kreuzte unseren Weg. Glücklich,
endlich wieder auf Spuren zu stoßen, folgten wir dem alten Spurenbündel,
wleches sich jedoch einige Kilometer weiter wieder unter den Sandmassen
verbarg. Langsam ließ die Kondition der Kradfahrer nach. Die schweren
Maschinen mußten immer öfter eingesandet aus den Dünen geborgen
werden. Die Sprünge in das nächste Dünental gestalteten sich
mit der Zeit schwieriger als vorhergesehen. So manches Fahrzeug mußte,
insbesondere nach Fahrfehlern, unter erheblichem aufwand wieder geborgen
werden. „Sandbleche raus“, war das Kommando des Tages und läutete
immer eine neue Bergungsaktion ein.
Gegen Abend waren wir gerade einmal 35 Kilometer Richtung Ksar Ghilane
vorgerückt. Vor uns befand sich noch eine schier undurchdringliche
Sandformation. Plötzlich ein Schlag im Rover, der Antrieb reduzierte
sich auf null und das Auto blieb auf einer Sandanwehung einfach stecken.
Die Anderen bemerkten den Verlust nicht und fuhren von dannen. Es bestand
keine Möglichkeit, das englische Fahrzeug wieder flott zu machen, irgend
etwas blockierte den Antrieb. Langsam wurde es dunkel und weit und breit
war keine Hilfe in Sicht. Mitten in den Dünen entfachten wir ein Lagerfeuer,
um die Aufmerksamkeit auf uns zu lenken. Nach einer geschlagenen Stunde
endlich eine Antwort in Form einer roten Leuchtrakete. Es dauerte weitere
zwei Stunden, bis sich der Troß bequemte, die zwei Kilometer durch
die Dünen in der Dunkelheit zurückzufahren. Dementsprechend war
die Stimmung gereizt, als wir alle wieder vereint waren. Gemeinsam schaufelten
wir den Rover frei und zogen ihn auf eine ebene Fläche zwischen zwei
Dünenbänken.
Die erste Inspektion verhieß nichts Gutes. Der Vorderantrieb
blockierte, keine Kraftübertragung war auf die Räder möglich.
Logisch, daß bei dem Permanentallrad dann auch die Hinterachse keine
Kraft mehr auf die Piste brachte. Im Licht der Neonbeleuchtung ging nun
nichts mehr und wir warteten den kommenden Morgen ab. Ängste wurden
wach, diese Strapazen würden sowieso kein Ende nehmen und Zweifel am
Erreichen des Zielpunktes wurden laut. Manch einer sah sich gar für
ewig in den Dünen gefangen. Der Krisenrat tagte erneut und kam zu dem
Ergebnis, die Fahrt nicht abzubrechen, sondern den nächsten Tag abzuwarten.
Alles hing nun vom Zustand des Rovers ab. Würden wir ihn wieder fahrbereit
machen können oder eben in der Wüste abfackeln müssen? Nachts
fegte ein Sturm über uns hinweg, gepaart mit ein paar dicken Tropfen
aus dem wolkenverhangenen Himmel. Mit Tagesbeginn begaben wir uns wieder
unter das defekte Vehikel und fanden den Fehler. Das vordere Differential
hatte gefressen und ließ sich keinen Millimeter mehr bewegen. Wir
lösten die vordere Antriebswelle gänzlich, die Räder liefen
wieder frei und schon beim ersten Fahrversuch gruben wir uns mit den Hinterrrädern
tief in den Sand. Aber immerhin war das Fahrzeug wieder fahrfähig.
Ausrüstung zusammengepackt, aufgesessen und weiter ging es nach Süden.
Die Fahrt dauerte nicht lange. Schon bei der ersten Dünenprobe
rammten wir uns mit der Schnauze tief in den Sand und der Wagen blieb
wieder stecken. Angesichts der vor uns liegenden Dünen versuchten
wir es nun mit Gewalt - es funktionierte. Mit Vollgas walzten wir sämtliche
Dünen förmlich nieder und ebneten so den Weg für die anderen
Fahrzeuge. Der Achtzylinder brüllte auf, hunderte von Schlägen
auf die Karosserie, der Sicherheitsgurt rettete uns oftmals vor einem Abflug
Richtung Windschutzscheibe. Nicht jede Düne konnte so gemeistert werden
und alle waren um die Mittagszeit ausgepowert und kraftlos von der Graberei.
Zum Unmut der Gruppe vergnügten sich nun einige mit der Suche nach Skorpionen,
anstatt sich um die defekten und eingesandeten Fahrzeuge zu kümmern.
So verteilte sich die schweißtreibende Arbeit nunmehr auf einige wenige
Personen, welche per Sandblech immer wieder eine Trasse für den überladenen,
jetzt zweiradangetriebenen Geländewagen schaffen mußten. Es
dauerte nicht lange und die Sonne zeigte sich wieder. Die Temperaturen stiegen
sofort an und erschwerten uns die kraftaufreibende Arbeit. Der Sand wurde
immer weicher und mehr und mehr kamen die Bergungsutensilien zum Einsatz.
Da, eine Ebene tat sich vor uns auf und eine erkennbare Piste zog
ihr Band südwärts. Glückgefühle kamen auf. Wir rollten
wieder auf festem Untergrund. Doch schon bald legten sich die nächsten
Dünenketten über den Weg und das Spielchen mit den Sandblechen
begann von neuem. Der Wasserverbrauch stieg durch die harte körperliche
Arbeit rapide an und wir mußten erstmals den Getränkeverbrauch
rationieren. Auflösungserscheinungen machten sich wieder breit und ein
Blick auf das GPS zeigte uns, daß wir mittlerweile auf der geographischen
Breite Ksar Ghilanes angelangt waren. Nur eben 20 Kilometer zu weit westlich.
Also wieder querfeldein, entgegen den natürlichen Dünenverläufen,
an welchen wir uns eineinhalb Tage lang orientiert hatten.
Plötzlich hatten die Dünengebiete wirklich ein Ende. Freie
Sicht bis zum Horizont und Pisten, zig Pisten zogen kreuz und quer. Wir
fühlten uns wie auf der Autobahn und richteten unseren Kurs aus. Wieder
zwang uns eine Panne zu einem ungeplanten Stop. Diesmal war es ein Plattfuß
an einem der Toyotas. Und das kurz vor unserem Ziel. In Windeseile wechselten
wir den Reifen, die Zeit war schon fortgeschritten. Auf einer Anhöhe
angekommen erblickten wir im Licht des Sonnenuntergangs endlich den malerischen
Ksar wenige Kilometer vor uns. Alle Strapazen waren vergessen, als wir
ausgemergelt den Vorplatz erreichten und nach der ersten Cola konnten die
meisten von uns auch schon wieder lachen. Schnell wurden wir zum Fotoobjekt
der kamelreitenden Touristen, die zum Sonnenuntergang zum Ksar pilgerten.
Wir schlugen unser Lager einen guten Kilometer vom Ksar und somit außer
Reichweite störender Einflüsse auf. Die Wasserrationierung wurde
aufgehoben und im Lichte des Lagerfeuers ließen wir die letzten,
harten Tage Revue passieren. Frohen Mutes starteten wir morgens darauf
zur letzten Etappe. Zwischen uns und der sichtbaren Oase lagen nur noch
gut vier Kilometer. Nur noch, aber die Strecke war praktisch mit Dünen
vermint. Und so ging es in bewährter Manier weiter. Sandbleche raus,
schaufeln und schieben, und das Meter für Meter durch die Dünen.
Nach weiteren zwei Stunden schweißtreibender Arbeit erreichten wir
endlich fix und fertig den Teich an der warmen Quelle in Ksar Ghilane.
Wir genossen das Bad in dem klaren, aber partiell von Kameldung durchsetzten
Wasser. Für die geschundenen Körper war es Balsam und ebensolches
für die Seele gab es in der nahegelegenen Bar. Der Besitzer ließ
sich erweichen, die Pforte zu öffnen, trotz der Siesta zur Mittagszeit.
Nach einigen Stunden Erholung verließen wir den idyllischen Ort wieder,
um uns vor Sonnenuntergang einen Platz zum Übernachten suchen zu
können. Auf der Pipelinepiste nordwärts, dann nach rechts in
die Daharberge. Wir erfreuten uns an der Bergwelt. Endlich kein Sand mehr,
kein Eingraben der Fahrzeuge, Bleche und Schaufeln waren wieder ganz unten
im Fahrzeug verstaut worden. In einem schwer zugänglichen, einsamen
Seitental wurde das Lager aufgeschlagen. Kurz vor dem Zubettgehen unterbrach
ein herzzerreißendes Jaulen und Heulen die Stille, die bis dahin
geherrscht hatte. Das Echo hallte von den steil aufragenden Felswänden
zurück und so sehr wir uns auch bemühten, den Ursprung der Geräusche
konnten wir nicht orten. Doch etwas verschreckt zogen sich alle mehr oder
minder bewaffnet in die schnell aufgeschlagenen Zelte zurück.
Morgens kam etwas zum Vorschein, über das sich die Gemüter
erneut erregten. Ein kompletter Gleitschirm, selbst zusammengepackt noch
so groß wie unsere Verpflegungskiste wurde stolz aus einem Fahrzeug
gezaubert. Wir hatten diesen Flugapparat quer durch die Dünen geschleppt.
Auf Kosten von Wasser, Verpflegung und Ersatzteilen. Unmut machte sich
breit bei denen, die bei ihrer persönlichen Ausrüstung zugunsten
der Gruppe so gespart hatten. Und als letztendlich noch ein nicht unerheblicher
alkoholischer Getränkevorrat zum Vorschein kam, war der Eklat perfekt.
Das störte die Betroffenen wenig und sie begaben sich auf die nächste
Bergspitze, um mit den Flugübungen zu beginnen. Derweil bereitete der
Rest der Gruppe alles für die bevorstehende Weiterfahrt vor. Zwei Stunden
später kamen unsere Piloten wieder zurück und waren von den schlechten
Winden enttäuscht, welche ihnen lediglich ein paar Flugminuten erlaubt
hatten.
Durch die Berge ging es dann weiter. vorbei an alten Ksars, die wie
Vogelnester hoch oben auf den Gipfeln thronten. Die in diesem Gebiet sehr
freundliche Bevölkerung zeigte sich insbesondere an dem beschädigten
Rover sehr interessiert. Ob wir einen Unfall gehabt hätten? Nein,
ein Unfall war es eigentlich nicht, nur ein kleines Malheur in den Dünen
von Ksar Ghilane. Mittlerweile glich die Fahrt für den Wagen einem
Weg zum Autofriedhof. Aus unerklärlichen Gründen konnte die Motorkraft
nur noch bei gezogener Differentialsperre auf die Räder übertragen
werden. In den engen, mittlerweile wieder asphaltierten Kurven wurde die
Kraft des Fahrers immer wieder auf die Probe gestellt. Das Auto war nur
noch für monotone Autobahnfahrten geeignet, aber weit und breit war
keine zu finden. Immer langsamer werdend erreichten wir unseren Lagerplatz
außerhalb von Chenini. Auf dem palmenbestandenen Terrain hatten sich
bereits einige Ziegenhirten mit ihren Herden nierdergelassen. Wir gesellten
uns zu ihnen, während der Gleitschirm auf der gegenüberliegenden
Seite des Tales flugfertig gemacht wurde. Die Winde schienen nicht günstiger
geworden zu sein. Ein kurzer Flug, der Gleitschirm kam ins Trudeln und schnell
ging es für Schirm und Pilot abwärts. Der harte Aufprall konnte
nicht spurlos an Material und Mensch vorübergegangen sein. Mit glücklicherweise
nur leichten Blessuren, blauen Flecken und Prellungen, war das Unternehmen
Luftfahrt endgültig beendet. Der Schirm wanderte wieder in seine Kiste.
Abends wurde die Gruppentrennung endgültig besiegelt. Ein Teil wollte
weiter ins Sperrgebiet fahren, was angesichts der fragwürdigen Lebensdauer
des Rover für diesen nicht mehr möglich war. Ein gemeinsames
Frühstück und die Fahrt bis hinaus zum Gouvernorat zum Zweck
der Sperrgebietsgenehmigung. Das war´s und so zogen wir in getrennte
Richtungen weiter.
In Nabeul, 60 Kilometer vor Tunis, traf man sich dann wieder. Aber
nicht alle hatten den Weg aus dem Süden unbeschadet überstanden.
Von Streitigkeiten, Sandphobien, Krankheiten und letztendlich einem kapitalen
Motorschaden an einem der Motorräder wurde berichtet. Ferner hatte
man sich von den anderen Motorradfahrern auf dem Rückweg bereits in
Tataouine, nicht in bester Freundschaft, getrennt. So harrten wir gemeinsam
im Regen von Nabeul bis zum Abfahrttermin der Fähre aus Tunis-La Goulette
aus. Die inzwischen leeren Verpflegungskisten wurden nach und nach mit Keramik
und sonstigen Souvenirs gefüllt, bis wiederum alle Platzkapazitäten
erschöpft waren.
Im Hafen von La Goulette schob sich der Rover langsam die Rampe in
den Bauch der Liberté hoch. Zuletzt kratzte noch einmal der Auspuff
über afrikanischen Asphalt. Der Wagen hatte sich von dem Kontinent
verabschiedet, für welchen er gebaut wurde. Aber er führte uns
noch heim nach Deutschland, wo er mit allen Ehren ausgemustert wurde.